Neue Wege nach einem Kontaktabbruch finden
Der einzige Weg in die innere Freiheit im Umgang der heutigen Eltern mit den eigenen Eltern führt über Gespräche und die innere Auseinandersetzung mit diesem Thema. Es ist hilfreich, sich einmal genauer anzuschauen, was damals in der Kindheit genau passiert ist. Wie die Eltern sich als Kind dieser Familie gefühlt haben. Was sie vermisst haben. Großeltern sollten sich anhören, wie ihre Kinder die Kindheit erlebt haben. Wo es für sie schmerzhafte Erfahrungen mit den Eltern gab. Das anerkennen, selbst wenn das sehr wehtun kann. (Gefühle können nie falsch sein.) Nicht sofort in die Verteidigung, Bagatellisierung und Ent-Schuldigung gehen.
Erst in einem zweiten Schritt geht es um die gemeinsame wohlwollende Suche nach den Gründen, die dazu geführt haben. Wohlwollend, denn es hilft niemandem, dabei den Orden „schlechtester Vater/schlechteste Mutter der Welt“ zu vergeben.
Um Vergebung bitten
Ziel könnte und sollte dabei eine gewisse Vergebung sein. Nicht primär den Eltern zuliebe. Nicht weil alles doch nicht so schlimm oder gar okay war.
Aber in der Erkenntnis,
- dass die Eltern sich damals (aufgrund der eigenen Geschichte und der konkreten Lebensumstände) nicht anders verhalten konnten.
Vielleicht haben sie nicht gelernt, ihre Liebe zu zeigen. Vielleicht fällt ihnen der Umgang mit (unangenehmen) Gefühlen generell nicht leicht.
Vielleicht waren sie öfter überfordert mit dem Leben.
Vielleicht hat die Kraft einfach nicht gereicht.
Möglicherweise können die nun erwachsenen Kindern dies erst besser nachvollziehen, wenn sie erleben, wie stressig das Leben mit Kindern sein kann. Wobei sich natürlich die Lebensumstände in den letzten Jahrzehnten verändert haben. Arbeitszeiten sind kürzer. Es gibt mehr Entlastung durch allerlei technische Geräte. Zahlreiche Einkäufe werden ins Haus geliefert, wo man früher von Laden zu Laden laufen musste. Dafür gibt es heute zahlreiche neue Stressoren und Probleme, die zu lösen sind. - dass die Eltern heute anerkennen, dass ihren Kindern etwas gefehlt hat (Zeit und Zuwendung), dass die Kinder sich manchmal ungerecht behandelt fühlten (z.B. gegenüber Geschwistern), dass die Heranwachsenden das Gefühl hatten, ihre Bedürfnisse den Eltern gegenüber nicht ausreichend klarmachen zu können (beim Druck durch den Wunsch der Eltern, einen von ihnen angestrebten Lebensweg zum Beispiel bei der Berufswahl zu beschreiten), dass sie unter der latenten Depression der Mutter gelitten haben, dass sie sich nicht so geliebt fühlten, wie sie waren.
Vergeben müssen nicht nur die Kinder den Eltern (Eine ehrliche Entschuldigung ist dabei sehr hilfreich: „Es tut mir sehr leid, dass du dich damals so gefühlt hast. Das war nicht meine Absicht. Ich habe es nicht bemerkt.“).
Vielleicht müssen die Großeltern an erster Stelle sich selbst vergeben. Das ist zumeist ein langwieriger und in der Regel sehr schmerzlicher Prozess. Dazu gehört es, sich von Illusionen zu verabschieden. Perfekte Eltern kann es nicht geben. Weil Eltern nur Menschen sind. Weil sie in ihrem Sein auch ein Modell für die Kinder darstellen, dass jeder Fehler macht und Schwächen hat, und wie man am besten damit umgeht. Es konnte und kann somit nur darum gehen, insgesamt seinen Elternjob gut genug gemacht zu haben. Wer aber will schon mit welcher Messlatte bewerten, wie weit dies gelungen ist?
Die Eltern haben ihr Bestes gegeben. Häufig, weil sie es damals einfach nicht besser wussten. Zum Beispiel aufgrund der gängigen Erziehungstheorien und -empfehlungen. Denken wir nur an die Jahrzehnte lang geltenden Ratschlag, Säuglinge schreien zu lassen. Heute wissen wir, dass das falsch war. Manche modernen Eltern tragen ihr Baby das ganze erste Lebensjahr nahezu 24/7 immer dabei in den Knien wippend herum. Wie man das in 3 Jahrzehnten wohl bewerten wird? Auch diese Eltern handeln in dem Glauben, dass dies das Beste für den Sprössling sei.
Zumindest eine Gruppe der heutigen Eltern hat viel Druck bzw. macht ihn sich selbst. Ich sehe bei ihnen einen Hang zum Perfektionismus. Sie lesen viel oder hören Podcasts zum Thema Elternsein. Lassen sich von (anscheinend) perfekten Influencerinnen erklären, wie eine Supermama aussehen muss. Sie können stundenlang recherchieren und diskutieren, welche Windelsorte und welcher Hightech-Kinderwagen der Beste ist. Sie wollen keine Fehler machen und damit das beste Produkt ihres Projektes „Kind“ erzielen: Einen gesunden, gebildeten, selbstbewussten, emotional stabilen, gesellschaftstauglichen und glücklichen Menschen. Okay, das wollten die heutigen Großeltern bei der Erziehung ihrer Kinder zumeist auch. Selbst wenn es en Detail Unterschiede in der Definition dieses Zieles gibt und geben muss, da sich die gesellschaftlichen Bedingungen ja sehr deutlich verändert haben.
Häugig gibt es Streit wegen der richtigen Erziehung
Im Übrigen gibt es in den Familien mit Kontakt zwischen Großeltern und Enkelkindern sehr häufig Streitigkeiten um das Thema „Wie erzieht man richtig“. In diesen Diskussionen geht es zumeist nicht nur um eine reine Diskussion von Sachargumenten, sondern zusätzlich um die Fragen: Was hat uns (Eltern) an eurer Erziehung damals geschadet? Und heißt es, wenn ihr (Eltern) es heute anders macht, dass wir (Großeltern) es damals alles falsch gemacht haben? In meinem Großelternbuch gibt es aus diesem Grund ein Bonuskapitel, in dem ich versuche, Großeltern die gängigen neuen Erziehungsansätze zu erklären.*** Großeltern wünschen sich meist, mit ihren Erfahrungen und Gedanken zumindest angehört zu werden. Eltern bestehen auf ihrem Recht, einen eigenen Weg zu wählen, auszuprobieren, eigene Fehler zu machen.
Ja, es ist zweifelsfrei sehr begrüßenswert, wenn wir alle uns viele Gedanken machen, was Kinder brauchen, damit sie psychisch und physisch gesund heranwachsen. Wenn wir viel dafür tun, dass ihre Lebensbedingungen (natürlich inner- und außerhalb der Familie) so sind, dass das gelingen kann. Wenn wir dazu forschen, in Frage stellen und Raum für neue Wege geben. Aber: wie alles im Leben, kann man sogar das übertreiben. Daraus kann für Kinder indirekt ein Druck entstehen, sich nun ja auch optimal zu entwickeln. Wo die Eltern doch schon alles für sie getan haben. Da werden die jungen Eltern einmal schmerzhaft konstatieren müssen, dass sie das Schicksal ihres Kindes auch nicht „machen“ konnten (Eltern haben eine hohe Bedeutung, sind aber eben nicht die einzigen Einflussfaktoren.), und dass auch sie Fehler gemacht haben. Wie ihre Eltern, nur vermutlich andere. – Wahrscheinlich haben diese gar nicht viel mehr (aber eben auch nicht weniger) Fehler gemacht als andere Eltern dieser Generation. Darauf gibt es zumindest in zahlreichen Studien Hinweise.
Die Fehler der Großeltern liegen jedoch nicht nur in damaligen Erziehungstheorien oder einem überholten Bild vom Kind begründet. Zum Beispiel: Heute sehen wir Kinder nicht als Objekt unserer Erziehungsbemühungen, als defizitäres Wesen, das mit Wissen und Fähigkeiten gefüllt, geformt und in eine bestimmte Richtung erzogen werden soll, sondern als Subjekt mit einer Individualität, mit viel mehr Fähigkeiten und Kompetenzen als bisher angenommen. Eine große Elterngruppe beschäftigt sich mit Erziehungstheorien und sucht nach dem perfekten Weg. Das meiste an Elternverhalten wird jedoch davon bestimmt, wie die Eltern selbst erzogen worden sind, was sie sich sozusagen von ihren eigenen Eltern abgeschaut haben. Eltern, die selbst Gewalt in der Erziehung erlebt haben, nehmen sich häufig vor, ihre Kinder nicht zu schlagen. Und sind dann in einer Stresssituation so hilflos und überfordert, dass ihnen doch nichts Besseres einfällt. Es ist schon eine spannende Geschichte, wenn wir Großeltern uns noch einmal damit beschäftigen, wie wir selbst erzogen worden sind. Oder sogar in der Generationsfolge noch weiter zurückzugehen.
Jetzt die Chancen nutzen, um alte Wunden zu heilen
Es ist ein etwas ungewohnter Gedanke, in Konflikten rund um einen Kontaktabbruch neben allem Leid eine große Chance dafür zu sehen, sozusagen die alten Wunden zu heilen. Und Milde und Wohlwollen im Umgang miteinander und mit unseren Fehlern zu erlernen. Die offene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit verlangt aber, quasi die alten Geschichten unter dem Teppich hervorzuholen und sich sehr selbstkritisch mit ihnen auseinanderzusetzen. Das kostet nicht wenig Zeit und Kraft, die manchen Menschen zumindest zeitweise einfach fehlt. Gerade die jungen Leute sind heute so stark von ihrem Alltag belastet, dass sie gar nicht dazu kommen. Manche Großeltern befinden sich jedoch selbst in einer Lebenskrise, wenn nach dem Ende der Berufstätigkeit die Frage im Raum steht, ob es das nun war und welchen Sinn sie dem letzten Lebensdrittel geben wollen. Deshalb trifft es sie besonders hart, wenn der bisher eingeplante große Sinnbaustein „Oma-/Opasein“ wegfällt. Andere Beteiligte fühlen sich hilflos und ohnmächtig gegenüber der Situation. Wie ungut verwickelt miteinander. Das ist besonders dann der Fall, wenn es bisher keine gute Kommunikations- und Streitkultur in der Familie gab und gibt. Es ist jedoch nie zu spät, diese zu erlernen. Vielleicht holen Sie sich dafür Hilfe von Fachleuten, Podcasts und Büchern.
Großeltern sind in der Regel durch die Abwendung ihrer erwachsenen Kinder sehr verletzt und gekränkt. Sie fühlen sich meist ohnmächtig. Verstehen die Welt nicht mehr. Inzwischen gibt es neben einigen Büchern und Dokumentationen zu diesem Thema in vielen Städten Selbsthilfegruppen, die Hilfe und Unterstützung anbieten. Lesen Sie dazu meine Hinweise im 3. Teil: Wenn gar nichts mehr zu gehen scheint.
Menschen haben unterschiedliche Möglichkeiten, mit ihrem Kummer und schwierigen Situationen umzugehen. Manche haben nach einigen Klärungsversuchen, viel Schmerz und stundenlangem Grübeln über mögliche Gründe irgendwann aufgegeben. Einige halten es dann wie der Fuchs in der Fabel mit den unerreichbaren süßen Trauben. Der erklärt, sie ja eh nie gewollt zu haben, weil sie ihm zu sauer wären. Sie finden Beschwichtigungen und Erklärungen, dass das eben heute so sei. Dass die Bedeutung von Großeltern überschätzt werde. Das nennt man Rationalisierungen.
Wieder andere versuchen, das Thema völlig aus ihren Gedanken zu verbannen und wenden sich anderen Lebensinhalten zu. (Das wird Verdrängung genannt.) Doch den wenigsten gelingt es, sich selbst an Geburtstagen oder zu den Weihnachtsfeiertagen, die ja für viele mit dem Zusammensein in Familie verbunden sind, die Gedanken an das Versäumte und die Sehnsucht nach den Lieben völlig zu verbieten.
Andere quälen sich über Jahre und Jahrzehnte mit ihrem Gram. Manchmal wird daraus sogar Hass. Meist haben sie dann einen (vielleicht das Schwiegerkind) als Schuldige/n identifiziert, auf die/den sie schimpfen können. Der Hass kann sie jedoch krankmachen, quasi von innen auffressen.
Manch einer sucht sich Ersatzenkelkinder, in der Nachbarschaft oder über eine der in größeren Städten oft vorhandenen Großelterninitiativen für Leihomas und –opas. Sehr viele suchen Trost bei einem tierischen Freund.
Eine weitere Gruppe jedoch gibt einfach nicht auf, will sich nicht abfinden, will keinen Ersatz und sucht immer wieder nach Wegen, doch eine Beziehung zu den Enkelkindern (wieder-) herzustellen. Wenn Sie zu dieser Gruppe gehören, finden Sie Ideen hierzu Sie im 3. Teil meines Artikels.
Lesen Sie weiter:
Teil 3 – Wenn gar nichts mehr zu gehen scheint
Aus dem Themenbereich: Familie
Autorin dieses Beitrages: Sybille Herold
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– Wie ein lebendiges Miteinander von Enkelkindern, Eltern und Großeltern gelingt
Autorin: Sybille Herold
Die frühere Diplom-Psychologin Sybille Herold ist heute selbst Oma und kennt drei Seiten des Zusammenlebens von Enkeln, Eltern und Großeltern.
Schon aus ihrer Zeit der Familienberatung bringt Sybille Herold die nötige Erfahrung mit und kann dementsprechend allen Beteiligten in dieser Dreierkonstellation ein wertvoller Ratgeber sein.
Es geht in dem Buch um die Frage, wie wir uns selbst an unsere Großeltern erinnern und welche Rolle Oma und Opa heute in der modernen Familie haben.
Wo gibt es feste Aufgaben, wo liegen Grenzen?
Und was ist möglich, wenn keine Kontakte gewünscht sind?
Auf einfühlsame Weise wird das Buch zum wertvollen Begleiter für alle wichtigen Fragen rund um die Großelternschaft.
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